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.Obgleich es noch früh ist, schwebt Staub in feinen Wirbeln über die Straße.Zwischen ockerfarbenen Fassaden drängt sich der Morgenverkehr.Vor den Cafés stehen Tische, Stühle und Sonnenschirme, aus dem Inneren duftet es nach warmen Hörnchen, Vanille und Kaffee.Die Frauen sind alle braun gebrannt, tragen bunte Kleider, Sandalen.Ihr offenes Haar weht im Wind.Die Männer kommen und gehen, die Zeitung unterm Arm.Sie verstecken ihr Gesicht hinter Sonnenbrillen, grüßen einander, winken sich zu.Auf dem Platz staut sich der Verkehr.Lastwagen donnern vorbei, wirbeln Hitze auf.Ich warte vor dem Rotlicht.Ich sehe Manuel auf der anderen Seite.Er sieht mich auch, hebt den Arm und winkt.Die Ampel wechselt auf Grün.Der Verkehr hält an.Manuel läuft mir über den Fußgängerstreifen entgegen.Ein Wagen rast in voller Fahrt auf ihn zu.Der Fahrer sieht das Stoppzeichen, bremst, daß die Reifen kreischen.Zu spät!Manuels Hüfte knickt nach innen, er kann nicht schnell genug auf die Seite springen.Ein lautes Krachen.Manuel wird auf die Kühlerhaube geschleudert und fällt auf die Straße.Ich stehe da, wie versteinert.Kaum, daß ich noch atme.Wagen halten an, Autotüren schlagen zu, Menschen kommen von allen Seiten gelaufen.In meinem Kopf brausen Wasserfälle, ich sehe alle Gesichter nur verschwommen.Manuel liegt halb unter dem Wagen.Sein Gesicht ist blaß und starr, seine Augen sind offen.Als ich näher trete, sehe ich Blut an seinem Haar kleben; auf dem Boden hat sich eine kleine Lache gebildet.Der Fahrer des Wagens ist ausgestiegen.Es ist ein junger Mann, hochrot im Gesicht, der wirre Worte stammelt und mit beiden Armen sinnlose Bewegungen macht.Schon hält ein Streifenwagen mit blinkenden Lichtern an.Ein Polizist steckt seine Trillerpfeife in den Mund und lenkt den Verkehr auf die andere Straßenseite.Manuels Schultasche liegt mitten auf der Straße.Ich gehe ganz ruhig zwischen den Wagen durch, hebe sie auf und stelle sie neben ihn.Dann drehe ich mich um und gehe weiter, als sei nichts gewesen.Der Schulhof ist voller Lärm.Ich setze mich auf die Mauer, unter den 234Platanenbaum, und warte auf ihn.Er wird sicher gleich da sein.Die Schulglocke läutet.Wir gehen in die Klasse.Die Schüler stehen in Gruppen herum.Einige sitzen schon an ihren Plätzen.Ich setze mich auch, packe meine Sachen aus, lege sie vor mir auf den Tisch.Die Lehrerin betritt das Klassenzimmer.Alle Schüler setzen sich.Der Unterricht beginnt.Manuel ist nicht gekommen.Wie ein Vorhang, der plötzlich zerreißt und das Licht durchdringen läßt, wird mir die Wahrheit bewußt.Mit einem Mal weiß ich, daß es nun immer so sein wird.Ich werde draußen auf der Mauer sitzen und warten und warten, und er wird nicht wiederkommen.Das Klassenzimmer dreht sich vor meinen Augen.Ich stehe aufrecht und halte mich am Tisch fest.Ich schnappe nach Luft, schreie und falle.Ich komme wieder zu mir und liege auf dem Boden.Die Schüler schütteln mich, schlagen mir auf die Wange.Die Lehrerin schiebt sie weg, hebt mich hoch.Man holt Essig, Alkohol.Ich werde ins Lehrerzimmer gebracht.Dort steht ein Liegesofa für die Mädchen, die ihre Tage haben.Die Lehrerin holt ein Taschentuch, befeuchtet mir Stirn und Wangen mit Kölnischwasser.Durch eine Tür sehe ich, wie der Rektor sich halblaut mit einem Polizisten in Uniform unterhält.Ich schließe die Augen und drehe mich auf die andere Seite.Später bringt mich der Hausmeister in seinem Wagen nach Hause.Manuel ist tot.Am nächsten Morgen steht es in der Zeitung.Sogar meine Eltern reden davon.Er ist der Sohn von Professor Levy, sagt mein Vater.Du weißt doch, Marie-Anne, der Gehirnspezialist.Soll ein sehr begabter Junge gewesen sein.Er besuchte die gleiche Schule wie Julie.Du hast ihn doch sicher auf dem Schulhof gesehen, nicht wahr, Julie?Ich schweige.Die Augen halte ich hartnäckig gesenkt.Mein Vater drückt seine Zigarette aus und faltet die Zeitung zusammen.»Schade um den Jungen!«»Na ja, die Juden…«, sagt meine Mutter.Manuel ist tot; es ist meine Schuld.Er hat nicht auf den Verkehr geachtet, weil er mich sah.Wie sonderbar, daß ich nicht weinen kann! Mir schmerzt der Hals, daß ich fast ersticke.Meine Augen brennen, aber bleiben trocken.Ich denke an Manuels Eltern, an seine Schwester, an den Kummer, den sie jetzt haben.Und alles ist meine Schuld.Manuel wird auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt.Nur einige Schüler aus seiner Klasse gehen hin.In der Schule mahnen uns die Lehrer, im Verkehr besser aufzupassen.Und dann ist alles wie sonst.Von Manuel redet keiner mehr.Er ist verschwunden, vergessen.Als ob er niemals existiert hätte.Ich aber sitze da, starre die Mitschüler an, höre nicht, was sie sagen, kann kaum schreiben, kaum lesen.Nachts liege ich wach, tagsüber schlafe ich ein.Ich gehe umher wie eine Schlafwandlerin, mit heißen Augen und einem Kloß im Hals.Habe ich Manuel wirklich gekannt? Oder habe ich ihn mir nur eingebildet? Dieses Gefühl ist ganz 235unerträglich.In der Nacht wache ich auf; es ist Neumond, alles ist dunkel.Ich wache auf aus einem ganz bestimmten Grund: Mein Gesicht ist heiß und naß.Tränen quellen unter meinen Lidern hervor, laufen mir über die Wangen.Ich weiß nicht einmal, ob ich von Manuel geträumt habe.Ich merke nur, daß ich zittere und weine.Krampfhafte Seufzer heben meine Brust, meine Nase ist verstopft, ich atme stoßweise durch den Mund.Schluchzend setze ich die Füße auf den Boden, hole mir ein Taschentuch aus der Kommode.Ich putze mir die Nase und gehe zum Fenster, das halb offen steht, um Kühle hereinzulassen.Ich drücke das Taschentuch an mein Gesicht und starre ins Dunkel.Der Kastanienbaum hebt sich vom Nachthimmel ab [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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