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.Männer und Frauen mit roten Gesichtern liefen in unförmiger Kleidung umher und stellten sich vor nummerierten Schaltern an.Daly ging von einer Person zur anderen und fragte: »Telex? Telex?« Aber niemand schien ihn zu verstehen.Schließlich nahm ein Mann mit Pelzmütze ihn am Ärmel und erklärte ihm in perfektem und akzentfreiem Englisch, wie er ein Telex schicken konnte.Daly ging zu einem der hinteren Schalter und verfasste eine Nachricht auf der Rückseite eines Briefumschlags vom ›New Worid Aster Hotel‹ in Schanghai.DR.BENTON F.KICKLIGHTERKOPERVIK-EXPEDITIONSCHIFF REX MUNDIFREQ 333-80ES IST EIN DUNKLER UND STÜRMISCHER TAG.SITZE FEST IN ARCHANGELSK.TREFFE SIE IN HAMMERFEST AM 28.FRANK DALYEr las die Nachricht noch einmal und wollte unbedingt noch etwas hinzufügen, irgendetwas Gemeines und Vorwurfsvolles, weil man ihn sitzen gelassen hatte.Doch obgleich er privat bis in alle Ewigkeit nachtragend und stur sein konnte, hatte er sich diszipliniert, im beruflichen Leben nicht zu jammern.Zumindest wenn es nichts brachte.Er las die Nachricht erneut, runzelte die Stirn und zerknüllte den Zettel.Zunächst einmal wurden die Gebühren pro Wort berechnet, und sie waren so hoch, dass es besser war, nur Substantive und Verben zu verwenden.Außerdem war Kicklighter sicherlich nicht der Typ, der Spaß vertrug.Er hätte nichts übrig für eine Formulierung wie ›Es ist ein dunkler und stürmischer Tag‹.Im Gegenteil, in den wenigen Gesprächen mit ihm hatte er den Eindruck gewonnen, dass der Professor ein arrogantes Arschloch war, der unheilbar an GMS litt – Großmannssucht.Was hatte er doch noch zu ihm gesagt?Ehrlich gesagt, Mr.Daly, halte ich nicht viel von euch Journalisten.Ihr habt in der Regel eine beschränkte Konzentrationsfähigkeit.Und dann hatte er Daly und die ganze Zunft der Journalisten mit einem einzigen Zungenschnalzen abgetan.Daly hatte sich arg zusammenreißen müssen, um den Mund zu halten.Vor gar nicht so langer Zeit hätte er erwidert, dass Virologen ihn auch nicht sonderlich beeindrucken würden – sie hätten angeblich einen kurzen Schwanz.Doch stattdessen hatte er mit den Schultern gezuckt und mit beschämter Miene die Hoffnung geäußert, der Professor würde ihm eine Chance geben, sich zu bewähren.Er suchte nach einem neuen Stück Papier, und da er keins fand, strich er den Umschlag von dem chinesischen Hotel glatt und bearbeitete die bereits geschriebene Nachricht:SITZE FEST ARCHANGELSK.TREFFPUNKT HAMMERFEST.DALYDas ist besser, dachte er.Fünf Wörter und nur den Nachnamen.Daly.Wie Charlemagne, nur auf irisch.Ihm kam der Gedanke, dass er vielleicht auch Anne Adair als Adressatin angeben sollte … aber nein.Die Expedition war zwar ihre Idee gewesen (laut Record des Medizinischen Forschungsinstitutes), doch sie war nun mal nur Kicklighters Assistentin.Großmannssüchtige waren pedantisch, wenn es ums Protokoll ging – auch oder erst recht, wenn es einen Protege betraf.Es war also besser, er ließ ihren Namen weg.Mit dem Umschlag in der Hand stellte Daly sich ans Ende der langen Schlange vor dem Telexschalter.Von der birnenförmigen Frau vor ihm stieg Dunst auf, und in der Luft lag ein beißender Geruch nach türkischen Zigaretten.Schuhe schlurften und quietschten auf dem nassen Holzboden.Hin und wieder hörte er amerikanische und englische Stimmen in dem Lärm, aber er konnte nicht sehen, von wem sie kamen.Die Schlange bewegte sich nach langen, unruhigen Wartephasen immer schubweise bloß einen halben Meter weiter.Aber das war eigentlich auch egal.Er konnte ohnehin nicht weg, und das wohl für mehrere Tage.Nachdem er das Telex aufgegeben hatte, schaute er noch einmal im Reisebüro Sputnik rein und buchte einen Flug nach Hammerfest in Norwegen.Um dem Sturm Gelegenheit zu geben, sich auszutoben, und damit der Flughafen von Archangelsk genug Zeit hatte, seine Rollbahnen vom Schnee und seine Iljuschins vom Eis zu befreien, entschied er sich für einen Flug in drei Tagen – womit er in Hammerfest wäre, bevor die Rex zurückerwartet wurde.Anschließend hatte er nichts mehr zu tun, als zum ›Tschernomorskaja‹ zurückzugehen – und zu arbeiten.In seinem Zimmer zog er den Laptop aus dem Matchbeutel und zögerte.Er hatte zwar den erforderlichen Transformator und den Adapter für die Steckdose, aber er wollte beides nicht benutzen.Nicht bei dem Strom hier: Andauernd flackerte die Deckenlampe wie ein Stern, der kurz davor ist, zur Nova zu werden.Wenn er den Laptop an die Steckdose anschloss, riskierte er einen Festplattenschaden.Er benutzte lieber den Akku.Wenn er den Mantel anbehielt, konnte er arbeiten, bis ihm die Finger vor Kälte steif wurden oder der Akku keinen Saft mehr hatte, je nachdem, was als erstes passierte.Er rückte einen Stuhl an den Schreibtisch, setzte sich und schaltete den Computer ein.Als der endlich bereit war, ging er ins Datenverzeichnis und rief die Interviewnotizen auf, die er in der Woche zuvor in Schanghai geschrieben hatte.Liu Shin-Li – Dr.med.Univ.Peking, Dr.Johns Hopkins, Leiter, Infl.-Abteil.Inst.für Allerg.& Infekt.-Krankheiten, Schanghai.Aufsatz, ›die Spanische Dame in China: ein historischer Überblick‹ (Ost-West-Zeitschrift für Epidemiologie).1918: 10 Millionen Opfer (allein in Indien!).I.Weltkrieg.Russische Revol.›Abweichung‹ vs.›Mutation‹.Epidemie, Pandemie.Typ-A-Veränderung ›längst überfällig‹.Nächstes Jahr? S-L: »Ich möchte keine Spekul.abgeben.Interess.Bazillus.«Daly war nach Schanghai geflogen, um Shin-Li zu interviewen, der in China als der führende Epidemiologe galt – und China war das Epizentrum sämtlicher Influenzapandemien in der Geschichte der Menschheit.Das Interview ging über knapp fünf Seiten, und auf weiteren zehn Seiten waren diverse Dinge vermerkt: ein kurzer Bericht über einen Besuch von Daly auf einem chinesischen Bauernhof, Auszüge aus verschiedenen Fachartikeln, die er in den Laptop eingescannt hatte, und schließlich der Artikel, durch den er überhaupt erst auf die Kopervik-Expedition aufmerksam geworden war.Letzterer war eine zwei Absätze umfassende Notiz im Record, dem vierzehntägig erscheinenden internen Mitteilungsblatt der National Institutes of Health:Leiter der Grippeabteilung besucht ArktisDaly drückte die Bild-nach-unten-Taste, lehnte sich zurück und ging die Notizen Bildschirm für Bildschirm durch.Ihm schwebte eine dreiteilige Artikelserie vor.Zunächst zirka zweitausend Wörter, Grundsätzliches über Influenzaviren und die ›Spanische Dame‹ im besonderen – dann in Teil zwei die Expedition nach Edgeøya.Der Titel sollte lauten: ›Vergessene Gräber geben ihr Geheimnis preis‹.Im letzten Teil dann würde er über Kicklighters Arbeit und seine Proteinhüllen-Theorie berichten.Wenn alles glatt ging, würde der Artikel vielleicht im Harper’s oder im Smithsonian abgedruckt, und mit dem veröffentlichten Artikel würde er versuchen, einen Vertrag für ein Buch zu bekommen.Worum es ihm eigentlich ging: Er wollte den Sprung vom Reporter zum Autor schaffen.Für sich allein arbeiten, mit anderen Worten: nicht mehr für jemand anders.Das einzige Problem war nur, dass er das Schiff in Murmansk verpasst hatte, und nun würde er auch nicht dabei sein, wenn die ›vergessenen Gräber ihr Geheimnis preisgaben‹.Somit würde er viel von dem Kolorit verlieren, das er sich erhofft hatte, es sei denn, er könnte eine Möglichkeit finden, die Geschichte aus der Sicht von jemand anders zu erzählen.Anne Adair käme dafür in Frage.Oder vielleicht jemand von der Crew oder die NOAA-Wissenschaftler.Sie könnten etwas über die Kälte, die Maschinen und den Permafrost erzählen, die schreckliche Einsamkeit einer Insel im nördlichsten Teil der norwegischen See.Aber es wäre besser gewesen – wem wollte er was vormachen? Es wäre sehr viel besser gewesen, er wäre bei der Öffnung der Gräber dabei gewesen
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