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.Der Wein muss lagern, der Käse stinken, in alten Töpfen kocht es sich am besten, und erst die himmlische Musik, die man auf alten Geigen machen kann, aber sobald der Mensch die erste Falte wirft, springt eine große Verhinderungsmaschinerie an.Zeit ist wie ein Aal in der Hand.Während wir über sie nachdenken, vergeht sie.Der Held in Prousts Roman »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« versucht, im Schreiben und Sich-Erinnern die Zeit festzuhalten.Aber wir können die Zeit gar nicht greifen.Sie greift uns.Der polnische Konzeptkünstler Roman Opalka hat einmal Selbstporträts ausgestellt, sechs Fotos, im Abstand von fünf Jahren gemacht.Im selben Hemd, mit derselben Frisur, demselben Gesichtsausdruck.Das war sein Versuch, die Zeit festzuhalten – 30 Jahre seines Lebens.Auf den Fotos ist nicht die Zeit selbst zu sehen, sondern der Zahn der Zeit, der an einem Menschen nagt: Die Haare werden weißer und dünner, die Haltung schlaffer, Falten graben sich ins Gesicht.Er fragt: Wer bin ich? Bin ich der, der ich heute bin? Bin ich der, der ich gestern war? Bin ich die Summe all derer, die ich festgehalten habe?Nur die Phantasie kann die Zeit zurückdrehen.In der Science-Fiction-Komödie »Zurück in die Zukunft« reist ein 17-Jähriger in die Vergangenheit und ändert dadurch die Geschichte.Er schafft sich um ein Haar selbst ab.In einer Szene hält er seinen eigenen Urgroßvater als Baby auf dem Arm.Aber das geht nur im Kino.In meinem Haus wohnt ein altes Ehepaar.Einmal in der Woche fahren die beiden mit grimmigen Gesichtern in weinrot lackierten Elektro-Scootern einkaufen.Sie haben die Anmutung eines Killerkommandos.Sie erregen kein Mitleid, eher Furcht.Ja, tatsächlich, ich fürchte sie ein bisschen.Wer sich nicht schnell genug gegen die Wand drückt, wenn sie, mit Einkäufen bepackt, in den Fahrstuhl sausen, könnte zermalmt werden.Altern war früher irgendwie diskreter.Omas sahen aus wie Omas, Opas sahen aus wie Opas.Die Alten nahmen klaglos die ihnen zugedachte Rolle an, verhutzelten, verloren immer mehr Farbe, bis sie fast durchsichtig waren.In Häuten, die sie wie zu große Overalls umschlackerten, schlichen sie sich langsam und taktvoll aus dem Leben.Aber jetzt? Was ist da eigentlich los? »Hängetitten de luxe«, nannte Desirée Nick ihr Bühnenprogramm.»In dieser Zitrone ist noch Saft«, hieß die Autobiographie von Lotti Huber.Halbblind, aber mit feschem weißem Schal steht der 108-jährige Schauspieler Johannes Heesters (wenn er nicht nach Redaktionsschluss gestorben ist) bis heute auf der Bühne.Da sind sie, die neuen Alten, grell, exhibitionistisch und zäh bis zum letzten Atemzug.Sie treten die Flucht nach vorn an, sie sind resistent geworden wie Viren.Haben Sie mal die Omas in New York beobachtet, diese stark geschminkten alten Frauen in Sneakers, die vor Coffee Shops sitzen, Kaffee aus Styroporbechern trinken und dabei Zigaretten rauchen? Dicke Schwarze mit weißen Rastazöpfen, Upper-Westside-Ladys mit Hut, Downtown-Künstlerinnen mit weißem Bubikopf und riesigen Kreolen.Sie laufen mitten auf dem Broadway, sie pfeifen auf den Fingern nach dem Taxi.Sie finden nicht, dass Altersflecken sich mit Modeschmuck beißen.Sie dekorieren ihre faltigen Hälse mit schweren Ketten.Sie scheinen zu rufen: »Seht her, ich bin alt, und wenn euch das nicht passt – Arsch lecken!« Einmal las ich in einem Porträt über Lotte Lenya einen Satz, der sich mir eingepflanzt hat: »Sie starb 83-jährig mit roten Fingernägeln und frisch gestrafften Brüsten in New York.«Böses Mädchen! Böses altes Mädchen! So etwas tut man nicht, das ist pfui! In Ihrem Alter! Sie sollen gefälligst tatterig sein, mausgrauer Dutt, mausgraues Kleid.Diskretion! Contenance!Wer hat den Alten eigentlich erlaubt, sich so danebenzubenehmen? Oder braucht man dazu keine Erlaubnis? Wer will uns das verbieten?Kennen Sie den Film »Harold and Maude«? Wenn ich alt bin, möchte ich wie Maude sein.Ich werde jeden Tag mit feurigem Atem begrüßen und leben, als gäbe es kein Morgen.Ich werde in einer total verschrobenen Wohnung hausen, meine Tür wird immer offen sein.Ich werde in bunten Kleidern zu fremden Beerdigungen gehen, Lakritze kauen und mir die Nase, wenn sie läuft, am Ärmel wischen.Ich werde singen, wenn ich singen will, und tanzen, wenn ich tanzen will.Ich werde frei sein, nicht von dieser Welt, nach mir wird die Sintflut kommen.Ich werde Kanarienvögel aus Zoohandlungen befreien und Bäume aus den Betoneimern der Großstadt.Ich werde Widerstand gegen die Staatsgewalt leisten, und wenn mir jemand etwas schenkt, werde ich es ins Meer werfen, dann weiß ich wenigstens immer, wo es ist.Ich werde Malern nackt Modell stehen, mein Haupthaar zu dünnen Zöpfen flechten und jede Menge Greisensex haben.Ich werde herrlich unmöglich sein, Diademe und Kimonos tragen, es mit dem blauen Lidschatten ein wenig zu gut meinen und auf jeden Fall Wasserpfeife rauchen.Gut, man wird ja wohl mal träumen dürfen!Maude ist auf verstörende Weise perfekt.Sie operiert im luftleeren Raum.Sie ist frei wie Superman, es gibt kein Hindernis für sie, sie kann Risiken eingehen, weil sie die Konsequenzen nicht tragen muss – für Nachahmer im wirklichen Leben wären die Risiken real.Die Kino-Maude braucht sich um keine Miete zu kümmern und um keine Krankenversicherung.Im realen Leben würde es vermutlich Haftbefehle hageln.Was würde passieren, wenn sie in eines der von ihr so verachteten Gefängnisse käme? Hätte sie eine Giftkapsel im hohlen Zahn, um ihrem Leben ein Ende zusetzen? Würde sie einen Häftlingschor gründen, der Cat-Stevens-Lieder singt? Wir wissen es nicht.Der Film ist Maudes Insel der Seligkeit.Filme müssen nicht durch die Prüfinstitutionen unserer Wirklichkeit.Blut ist immer rot, Handys müssen niemals aufgeladen werden, Autos, die sich überschlagen, explodieren, Zeugen sterben, kurz bevor sie den Namen des Täters verraten können, zornige Frauen kann man mit einem Zungenkuss zum Schweigen bringen, und Alte können glanzvoll anarchisch durch ihre letzten Jahre ziehen.Da ich aber nicht im Film lebe, wird mich die Realität des Altwerdens gnadenlos einholen.Gut, ein paar Jahre gewinnen wir heute durch ausgewogene Ernährung und Anti-Aging-Präparate.Als Silversurfer und Best-Ager tragen auch die 69-Jährigen noch Jeans und machen Urlaub auf dem Kreuzfahrtdampfer oder im Dschungel von Kambodscha.Aber dann kommt es doch.Vielleicht wird es ausgelöst vom ersten grauen Schamhaar, vielleicht stellt sich ein Leberfleck, den ich dem Hautarzt zeige, als Alterswarze heraus.Ich werde nicht an der Prosecco-Theke der Galeria Kaufhof vorbeigehen, ich werde dem Barmann zuzwinkern und ein Gläschen ordern, für den Blutdruck.Nach dem zweiten Glas wird sich alles nicht mehr so schlimm anfühlen, und nach dem dritten Glas beschließe ich, meine Pumps wegzuschmeißen, meinen Strähnchen-Termin beim Friseur abzusagen und ab sofort eine alte Frau zu sein, eins dieser hüstelnden Weiblein, über die ich mich früher so geärgert habe, weil sie mir ihre Gehhilfen in die Hacken schoben, eine Vögelscheuche.Der Atem fängt an zu pfeifen wie ein auf dem Herd vergessener Schnellkochtopf.Die Zähne fallen aus, die Haare fallen aus.Die Knochen brechen wie Salzstangen, die Neuronen feuern nicht mehr, aus meinen schlaffen Ohren werden Haare wachsen, die Haut wird mir in Zipfeln von den Ellenbogen hängen, Krampfadern werden mir um die Beine schlackern.Die Haut wird schlaff, die Hirnzellen sterben, die Augen sinken ein.Das Skelett tritt hervor.Warte nur, balde ruhest du auch.So wird das sein.Stellen Sie sich mal die Zukunft vor.Wie werden die Straßen aussehen in zwanzig, dreißig Jahren? Ein einziges Geschlurfe! Wer selbst noch kein Greis ist, der fällt über einen.Es wird nur so von ihnen wimmeln.Kukident und Sütterlin, wohin man schaut.Die Alten werden die reinste Landplage sein, und ich mittendrin [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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